Die Beweismittel der Strafprozessordnung
Wie in unserem Leitfaden des Strafverfahrens angekündigt, nunmehr ein erster Einstieg in das Thema Beweismittel der Strafprozessordnung.
Vorab eine jedoch noch eine kleine Einführung in das Thema des Beweisantrags:
Mit Beweisanträgen können Sie im Strafverfahren mitunter dem Verfahren einen Stubs in die richtige Richtung geben.
Beweisanträge können in vielfältiger Form gestellt werden und vom Gericht nur unter engen Voraussetzungen abgelehnt werden.
Die Legaldefinition des Beweisantrags ist in § 244 Abs. 3 S. 1 geregelt, der wie folgt lautet:
„Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll.“
Wie Sie dieser Norm entnehmen können, ist ein Beweisantrag auf die Erforschung von Tatsachen gerichtet. Tatsachen sind Geschehnisse der Vergangenheit oder Gegenwart, welche dem Beweise zugänglich sind.
Viele von Ihnen werden nun glauben, dass man „Tatsachen“ damit ja wahrnehmen können muss, dem ist jedoch nur teilweise so. Auch „innere Tatsachen“ können dem Beweise zugänglich sein, etwa die Motivation eines Angeklagten, wenn sie durch weitere Umstände wahrnehmbar war.
Ein kleiner Kniff am Rande, auch nach dem Schluss der Beweisaufnahme können im Plädoyer Beweisanträge gestellt werden. Dies hat zwei Vorteile, zum einen bekommen sie möglicherweise konkludent eine Einschätzung, wie das Gericht die Angelegenheit bisher bewertet, oder sie bekommen „Munition“ für eine gegebenenfalls durchzuführende Revision.
Nun jedoch zurück zum eigentlichen Thema, den Beweismitteln der Strafprozessordnung, fünf an der Zahl.
Das erste Beweismittel ist die Vernehmung von Zeugen geregelt im sechsten Abschnitt der Strafprozessordnung, §§ 48 bis 71 Strafprozessordnung. Dies stellt mitunter leider, oder manchmal auch glücklicher Weise, dass schwächste Beweismittel dar, da die Wahrnehmungen von Menschen sehr unterschiedlich sind, sich mit der Zeit auch gegebenenfalls durch den Austausch mit anderen Menschen verschieben oder auch verblassen. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass mitunter jeder Tag, der für Sie als Beschuldigter einer Straftat ins Land zieht, auf Grund des verblassenden Erinnerungsvermögens von Zeugen, ein guter Tag ist, auch wenn das über Ihnen schwebende „Damoklesschwert“ einer Verurteilung an Ihren Neven nagen mag.
Das zweite Beweismittel ist das Gutachten eines Sachverständigen oder einer Sachverständigen, geregelt im siebten Abschnitt der Strafprozessordnung, den §§ 72-93 der Strafprozessordnung. Oftmals ist die Hinzuziehung eines Sachverständigen in Prozessen zwingend zur Erforschung der Wahrheit notwendig. Sie werden Sie manchmal auch fragen, warum Strafprozesse so umfangreich sind und eine Vielzahl an Verhandlungstagen erfordern. Dies ist mitunter dem Umstand geschuldet, dass ein Sachverständiger oder eine Sachverständige eine Vielzahl von im Prozess aufgeworfenen Fragen beantworten muss und manchmal auch im gesamten Prozess anwesend sein muss, um am Ende Ausführungen zu einer eventuellen Schuldfähigkeit des Angeklagten zu machen, oder auch einer teilweise aufgehobenen Schuldfähigkeit des Angeklagten. Hintergrund ist, dass das Gericht zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Dies ist in § 244 Abs. 2 Strafprozessordnung geregelt.
Aus den Ausführungen eines Gutachters lässt sich ebenfalls in einer Vielzahl von Fällen auch „Munition“ für die Verteidigung des Mandanten gewinnen. Dem Verfasser ist noch sehr genau ein Verfahren beim Amtsgericht Gelsenkirchen vor Augen, in welchem dem vom Verfasser verteidigten Angeklagten ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort vorgeworfen wurde. Konkret sollte er auf einen PKW aufgefahren sein und diesen in einen weiteren PKW geschoben haben. Das Absurde an der Geschichte war, dass am Fahrzeug des Angeklagten nur das Nummernschild leicht verbogen war, die beiden anderen PKW jedoch in ganz erheblichem Maße beschädigt waren. Nachdem es in der Verhandlung sehr hitzig wurde, nachdem dem Angeklagten fast zehn Monate nach dem Unfall auf Grund einer Zeugenaussage die Fahrerlaubnis entzogen wurde, wurde durch den Verfasser dieses Artikels eine einstündige Verhandlungspause zur Formulierung eines Beweisantrags beantragt und die Einholung eines Gutachtens beantragt, ob die vom PKW des Angeklagten ausgehende kinetische Energie hoch genug gewesen sein konnte, um zwei weitere PKW ineinander zu schieben. Nachdem das Gericht dann schnellstmöglich ein entsprechendes Gutachten eingeholt hatte, rief der Vorsitzende circa eine Woche später im Büro des Verfassers an und gab bekannt, dass der Angeklagte am morgigen Tag seine Fahrerlaubnis wiedererhalten würde und das Verfahren auf Kosten der Landeskasse eingestellt würde.
Sie sehen als, dem Gericht ein wenig Arbeit zu verschaffen, kann sich am Ende auszahlen.
Das dritte in der Strafprozessordnung vorgesehen Beweismittel sind Urkunden. Urkunden sind nach der dem Unterzeichner besten bekannten Definition verkörperte Entäußerungen, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt sind, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen und die aus den Umständen des Rechtsverkehrs einen Aussteller erkennen lassen. Unter einer Urkunde stellen sich viele von Ihnen wahrscheinlich eine Urkunde eines Notars vor, mehrere vernähte Blätter mit einem Siegel und einem Siegelband. Doch mitunter kommen Urkunden auch in sehr viel banalerer Form daher. Wenn Sie zum Beispiel am Wochenende nach einer harten Arbeitswoche mit ein paar Freunden in einer Kneipe oder einem Brauhaus sitzen und der Kellner (für die Rheinländer unter Ihnen der Köbes) einen Strich für ein Bier auf Ihren Deckel macht, so handelt es sich auch um eine Urkunde. In diesem Zusammenhang sollten Sie sich also auf den alten Spruch der Römer besinnen und sich niemals ein X (römisch zehn), für ein U (römisch fünf) vormachen lassen. Urkunden können in verschiedenen Weisen in den Strafprozess eingeführt werden. Schriftstücke können zum Beispiel verlesen werden, wie sich aus § 249 Abs. 1 StPO ergibt, oder auch im sogenannten Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 StPO. Das Selbstleseverfahren bedeutet am Ende nichts anderes, als dass sich Ihr Verteidiger, das Gericht und die Staatsanwaltschaft selber mitunter mehrere tausende Seiten Gerichtsakte durchlesen müssen.
Beweismittel vier ist die richterliche Inaugenscheinnahme, geregelt in § 86 Strafprozessordnung. Dies meint, dass man Beweismittel, wie zum Beispiel Fotos oder Audiomitschnitte, ansieht oder anhört. Auch hieraus lässt sich mitunter für die Verteidigung „Honig saugen“. In einer Vielzahl von Verfahren gibt es im Zeitalter von Mobiltelefonen und Messengerdiensten gespeicherte Daten, auf die die Strafverfolgungsbehörden zugreifen können. Bestes Beispiel dafür sind die aus der Auswertung des Netzwerks Encrochat gewonnenen Daten. Insoweit müssen wir dann auch wieder auf die Ausführungen zu Beweismittel zwei zurückkommen. Es gibt mittlerweile auf die Analyse von Audiodateien spezialisierte Gutachter, die an der Aussprache, der Klangfarbe der Stimme und der sozialen Prägung des Sprechers erkennen können, ob sich der Angeklagte oder auch eine dritte Person in dem entsprechenden Gespräch unterhält. Es sollte auch für Sie sicherlich logisch sein, dass eine im Ruhrgebiet in den sechziger Jahren aufgewachsene Person (watt is mit die Lore= was ist mit der Kohlenlore) sich sprachlich anders äußert, als eine in Berlin aufgewachsene Person (koof ma ne Schrippe=kauf mal ein Brötchen). Auch insoweit ist dem Verfasser noch eines seiner ersten großen Verfahren vor Augen, in dem es um den angeblichen Schmuggel von mehreren Kilo Opium aus dem Iran in die Bundesrepublik Deutschland ging, welches mit einer sehr biestigen Staatsanwältin beim Landgericht Düsseldorf und einer Vielzahl von Verhandlungstagen stattgefunden hat. Am Ende hat der entsprechende Gutachter dann festgestellt, dass die in den Telefonaten agierende Person nicht der Angeklagte war, was dann logisch zu einem entsprechenden Freispruch für den Angeklagten geführt hat.
Auch hier sehen Sie wieder, Hartnäckigkeit zahlt sich aus.
Kommen wir nun zu dem letzten strafprozessualen Beweismittel, der geständigen Einlassung. Dies bedeutet, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegte Tat einräumt. In manchen Fällen ist es nämlich tatsächlich so, dass eine derart erdrückende Beweislage vorliegt, dass man um ein Geständnis gar nicht herum kommt. Es kann aber auch insoweit zum Vorteil gereichen, dass ein Geständnis beim auszuurteilenden Strafmaß von Bedeutung ist und mitunter aus Gründen der Prozessökonomie das Verfahren abkürzen kann, was von Gerichten immer gerne gesehen wird. Mitunter ist es leider aber auch so, dass der nicht anwaltlich vertreten Mandant zu einer Vernehmung bei der Polizei erscheint und dort bereits ein Geständnis ablegt. Machen Sie dies niemals. Dem Verfasser sind aus seiner langjährigen Tätigkeit als Strafverteidiger eine Menge Fälle bekannt, in dem man dem Angeklagten an sich zu einem Freispruch hätte verhelfen können, wenn er nicht zur ersten Vernehmung erschienen wäre. Bedauerlicherweise erscheinen einige Beschuldigte erst beim Anwalt, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.
Auch hier sehen Sie wieder, dass Sie so früh und so schnell wie möglich einen Anwalt konsultieren sollten, zögern Sie nicht.
Wir hoffen, dass Ihnen unser Überblick über die Beweismittel ein wenig das juristische Tagesgeschäft vor Augen geführt hat.