Benachteiligungsverbote des AGG
Kündigung – Anfechtung wegen arglistiger Täuschung -Offenbarungspflicht einer Schwangerschaft im befristeten Arbeitsverhältnis – LAG Hamm, Urteil vom 26. Januar 2022 – 3 Sa 1087/21
Zurückweisung der Revision durch Beschluss des BAG vom 15. Dezember 2022 – 6 AZR 102/22
1. Hat der Arbeitgeber neben einer ordentlichen Kündigung den Widerruf der Erklärung, der Arbeitnehmerin einen Arbeitsvertrag anzubieten, und die Anfechtung des Arbeitsvertrags erklärt, hängt der Erfolg der Kündigungsschutzklage auch von der Wirksamkeit des Widerrufs und der Anfechtung ab, wenn diese – ihre Berechtigungen unterstellt – dazu führen, dass bei Zugang der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht bestanden hat bzw. auf einen Zeitpunkt wirken, der vor dem Auflösungstermin der Kündigung liegt. Ob der Widerruf und die Anfechtung durchgreifen, ist deshalb in aller Regel schon im Rahmen des Kündigungsschutzantrags zu überprüfen.
2. Die falsche Beantwortung einer der Arbeitnehmerin bei der Einstellung zulässigerweise gestellten Frage kann den Arbeitgeber nach § 123 I BGB dazu berechtigen, den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, wenn die Täuschung für dessen Abschluss ursächlich war.
Das Verschweigen von Tatsachen, nach denen nicht gefragt wurde, stellt jedoch nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich dieser Tatsachen eine Offenbarungspflicht besteht. Arglistig ist die Täuschung, wenn die Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass ihre Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen und deshalb oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim (künftigen) Arbeitgeber entstehen oder aufrechterhalten werden. Fahrlässigkeit -auch grobe Fahrlässigkeit – genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Arbeitgeber. Dass es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, steht dem nicht entgegen.
3. Bei unbefristeten Einstellungen ist ein Fragerecht des AG bzw. eine Offenbarungspflicht der ANin bezüglich ihrer Schwangerschaft nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH und des BAG wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen unzulässig.
Ob ein Fragerecht des Arbeitgebers – und korrespondierend dazu eine Offenbarungspflicht der Arbeitnehmerin – ausnahmsweise dann zu bejahen ist, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin von vornherein nur befristet und/oder als Vertretung einstellen wollte, ist umstritten.
Das LAG Köln (11.10.2012, 6 Sa 641/12) lehnte ein Fragerecht auch bei einem befristeten Arbeitsverhältnis zuvor ab. Im Hinblick auf das Urteil des EuGH vom 04.10.2001 C-109/00, Tele Danmark) war nach Auffassung des Gerichts auch eine Offenbarungspflicht der Schwangerschaft abzulehnen.
Diese Auffassung ist vom BAG nunmehr bestätigt worden.
Mit dem Einwurf des unterschriebenen Arbeitsvertrags informierte eine Erzieherin ihren neuen Arbeitgeber gleichzeitig über ihre Schwangerschaft. Dieser sah darin eine arglistige Täuschung und erklärte die Anfechtung der auf den Vertragsschluss gerichteten Willenserklärung.
Zur Begründung hieß es, das Landesarbeitsgericht Hamm sei – u.a. unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, 04.10.2001 – Rs. C-109/00) – zu dem Schluss gekommen, dass die Erzieherin nicht verpflichtet gewesen war, ihre Schwangerschaft bei Vertragsabschluss zu offenbaren. Zu dieser Zeit habe nicht unzweifelhaft festgestanden, dass sie während der gesamten Vertragslaufzeit nicht arbeiten werde. Denn angesichts „des voraussichtlichen Endes der Mutterschutzfrist Anfang Dezember 2021 und der Befristung bis zum 31. Juli 2022 bei Vertragsschluss habe die Möglichkeit einer Arbeitsaufnahme bestanden“, befand der BAG. Die Ungewissheit über die Durchführung des Arbeitsverhältnisses bei Vertragsschluss aber rechtfertige keine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung.
Eine Übergleichbehandlung war nach Auffassung des Senates darin ebenfalls nicht zu sehen.